Veröffentlichung BayMBl. 2020 Nr. 150 vom 25.03.2020

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Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention

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Sonstige Bekanntmachung

Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)

Durchführung der Stichwahlen am 29. März 2020 ausschließlich als Briefwahlen anlässlich der Corona-Pandemie

Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege

vom 19. März 2020, Az. 51b-G8000-2020/122-90

Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlässt im Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 65 Satz 2 Nr. 2 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) folgende­

Allgemeinverfügung

1.
Bei den am 29. März 2020 im Zuge der allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen erforderlich werdenden Stichwahlen dürfen keine Abstimmungsräume zur Stimmabgabe genutzt werden. Die Stichwahlen werden daher ausschließlich als Briefwahlen durchgeführt und die Wahlscheine mit Briefwahlunterlagen durch die Gemeinden an alle wahlberechtigten Personen von Amts wegen ohne Antrag versandt.
2.
Diese Allgemeinverfügung tritt am 20. März 2020 in Kraft.

Begründung

Am 15.März 2020 fanden die allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen statt. In Landkreisen, Städten und Gemeinden, in denen keiner der Bewerber für das Bürgermeister- oder Landratsamt mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat, sind Stichwahlen durchzuführen, Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG.

Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 GLKrWG finden die Stichwahlen am zweiten Sonntag nach dem Wahltag statt. Bei den allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen 2020 ist das Datum für die Stichwahlen daher der 29. März 2020.

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet, sodass die WHO am 11. März 2020 das Ausbruchsgeschehen als Pandemie bewertet hat. Die Erkrankung ist sehr infektiös. Es besteht weltweit, deutschlandweit und bayernweit eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit starker Zunahme der Fallzahlen innerhalb weniger Tage auch in Bayern. Inzwischen werden aus allen Regierungsbezirken Bayerns vermehrt Erkrankungsfälle (COVID-19) gemeldet. Am 16. März 2020 wurde gemäß Art. 4 Bayerisches Katastrophenschutzgesetz (BayKSG) aufgrund der aktuellen Corona-Lage der Katastrophenfall in ganz Bayern festgestellt. Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat zuletzt mit Bekanntmachung vom 16. März 2020 eine Allgemeinverfügung mit umfassenden Veranstaltungsverboten und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie erlassen.

Diese Anordnung ist gemäß § 28 Abs. 3 IfSG in Verbindung mit § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar.

Zu Nr. 1:

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ist nach § 65 Satz 2 Nr. 2 ZustV für den Erlass der gegenständlichen Allgemeinverfügung auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zuständig.

Um eine Ausbreitung von COVID-19 zeitlich und räumlich zu verlangsamen und in der gegenwärtigen Lage insbesondere von der noch anhaltenden Infektionswelle zu entkoppeln, dürfen zum Schutze der Bevölkerung bei den am 29. März 2020 erforderlich werdenden Stichwahlen keine Abstimmungsräume zur Stimmabgabe genutzt werden.

Die stetige Zunahme der Infektionen flächendeckend in ganz Bayern erfordert es, das Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Menschen, wie dies auch bei der Abstimmung in den Wahllokalen der Fall ist, zu vermeiden. Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in Bayern derzeit stark und immer schneller verbreitet. In allen Regierungsbezirken wurden Krankheits- und Ansteckungsverdächtige festgestellt. Durch den vorherrschenden Übertragungsweg von SARS-CoV-2 über Tröpfchen, z. B. durch Husten, Niesen, und durch teils mild erkrankte oder auch asymptomatisch infizierte Personen kann es zu Übertragungen von Mensch-zu-Mensch kommen. Aufgrund des hohen Infektionsrisikos besteht die Gefahr, dass sich beim Zusammentreffen vieler Menschen in den Abstimmungsräumen am 29. März 2020 eine größere Anzahl von Menschen infizieren.

Das Robert Koch-Institut hat am 17. März 2020 die Einschätzung für die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt von „mäßig“ auf „hoch“ gesteigert. Damit verbunden ist eine in der Allgemeinbevölkerung einhergehende Übertragung von Infektionen mit Sars-CoV-2, dem Erreger von COVID-19. Deshalb ist für den Tag der Stichwahl eine deutlich höhere Infektions- und Verbreitungsgefahr anzunehmen als noch für den Tag der allgemeinen Kommunalwahl am 15. März. Um eine Verbreitung des Virus so weit wie möglich zu verlangsamen, wurden bereits Veranstaltungen und Versammlungen generell verboten und weitgehende Betriebsuntersagungen am 16. März 2020 angeordnet. Diese veränderte Sachlage gebietet es, für den Tag der Stichwahl – anders als für den 15. März – eine Urnenwahl zu verbieten. Da es bei einer Urnenwahl unweigerlich zu Ansammlungen von Menschen in den Wahllokalen kommt, ist es zur Prävention der weiteren Verbreitung der Erkrankung unerlässlich, die Stichwahlen nicht in Abstimmungsräumen stattfinden zu lassen.

Dies hat zur Folge, dass eine Stimmabgabe bei den Stichwahlen am 29. März 2020 ausschließlich per Briefwahl möglich sein wird. Daher sollen die Wahlscheine mit den Briefwahlunterlagen automatisch, ohne vorherigen Antrag, an alle wahlberechtigten Personen versandt werden. Dem verfassungsrechtlich verbürgten Wahlrecht kann mit der Durchführung der Stichwahlen als ausschließliche Briefwahl unter Berücksichtigung der zwingend notwendigen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen Rechnung getragen werden.

Nach dem Wortlaut des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes setzt die Briefwahl zwar einen Antrag des Wahlberechtigten voraus. Nach Art. 13 Abs. 1 GLKrWG wird ein Wahlschein, der Voraussetzung für die Stimmabgabe per Briefwahl ist, von der Gemeinde nur „auf Antrag“ erteilt. Eines Grundes für die Beantragung des Wahlscheines bedarf es jedoch nicht.

Aufgrund der Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung, die mit einer Urnenwahl am 29. März 2020 verbunden wären, kann aber unterstellt werden, dass die Wahlberechtigten unter diesen Bedingungen die Briefwahl präferieren und beantragen möchten. Vor diesem Hintergrund ist es infektionsschutzrechtlich geboten und bei antizipierter Annahme entsprechender Antragstellungen unter den vorliegenden besonderen Umständen wahlrechtlich auch nicht ausgeschlossen, die Stichwahlen ausschließlich als Briefwahlen durchzuführen. Die Gesundheitssicherheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) ist vorrangig.

Andere, gleich wirksame, aber weniger einschneidende Maßnahmen kommen nicht in Betracht. Geeignete Alternativen bestehen daher nicht. Die Stichwahlen bilden eine Einheit mit der Gemeinde- und Landkreiswahl am 15. März 2020 und sind daher zeitnah am zweiten Sonntag nach dem Wahltag durchzuführen. Ziel ist es, bis zum Ende der Amtszeit der Amtsinhaber, in der Regel zum 30. April 2020, und bis zum Beginn der Wahlperiode der neu gewählten Gemeinderäte und Kreistage zum 1. Mai 2020, auch die Wahl der Bürgermeister und Landräte sicherzustellen. Die Handlungsfähigkeit aller staatlichen und kommunalen Ebenen muss gerade auch im Interesse eines wirksamen Infektionsschutzes über den 1. Mai 2020 hinaus gewährleistet sein.

Beides, die größtmögliche Verringerung der Infektionsrisiken bei der Wahl und die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit auch der kommunalen Ebenen durch die Wahlen der Bürgermeister und Landräte, rechtfertigen es auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, hier wegen der besonderen Ausnahmesituation die mit einer Briefwahl zurückgenommene öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe (BVerfGE 123, 39/75) und die nicht gleichermaßen gewährleistete Integrität wie bei einer Urnenwahl (BVerfGE 59, 119/127) hinzunehmen (vgl. dazu auch BVerfGE 134, 25 ff.).Die Durchführung der Stichwahlen als Briefwahl dient dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl stellt jedenfalls im Zusammenhang mit der Briefwahl eine zu den Grundsätzen der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl gegenläufige verfassungsrechtliche Grundentscheidung dar, die grundsätzlich geeignet ist, Einschränkungen anderer Grundentscheidungen der Verfassung zu rechtfertigen.

Bereits bei den Gemeinde- und Landkreiswahlen am 15. März 2020 war ein hoher Briefwähleranteil zu verzeichnen, der gerade noch in den wenigen Tagen vor der Wahl aufgrund der Ausbreitung der Corona-Infektionen zugenommen hatte. Auch für die Stichwahlen am 29. März 2020 wäre daher ohnehin mit einer großen Zahl an Briefwahlanträgen zu rechnen. Durch die automatische Zusendung der Briefwahlunterlagen kann das Wahlverfahren bei dem für Stichwahlen ohnehin schmalen Zeitfenster für die Gemeindeverwaltungen vereinfacht werden.

Unter Berücksichtigung dieser Faktoren ist die Durchführung der Stichwahlen am 29. März 2020 trotz der Einschränkung auf die Wahlmöglichkeit in Form der Briefwahl verhältnismäßig und gerechtfertigt, um der vorrangigen Gesundheitssicherung der Bevölkerung Rechnung zu tragen.

Zu Nr. 2:

Die Allgemeinverfügung gilt ausschließlich für die Stichwahlen am 29. März 2020. Die Nrn. 1 und 2 treten am 20. März 2020 in Kraft.

gez.

Dr. Winfried Brechmann

Ministerialdirektor