Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
Notfallplan Corona-Pandemie: Regelungen für Pflegeeinrichtungen
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege
vom 22. Mai 2020, Az. G7VZ-G8000-2020/122-327
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlässt auf der Grundlage des § 25 Abs. 1 und 3 und des § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 65 Satz 2 Nr. 2 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) folgende
Allgemeinverfügung
1.
Die nachfolgenden Regelungen gelten für vollstationäre Einrichtungen der Pflege gemäß § 71 Abs. 2 SGB XI (im Folgenden: Pflegeeinrichtungen) in Bayern.
2.
- 2.1
- Für die Aufnahme von neuen Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeeinrichtungen sowie die Rückverlegung von Bewohnerinnen und Bewohnern nach einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus, einer Einrichtung der Vorsorge oder Rehabilitation ist durch die Einrichtung ein einrichtungsindividuelles Schutzkonzept zu erstellen, das den größtmöglichen Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner und des Personals vor Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 gewährleistet. Das Schutzkonzept ist auf Verlangen dem zuständigen Gesundheitsamt vorzulegen.
- 2.2
- Das zuständige Gesundheitsamt kann im Einzelfall ergänzende Anordnungen erlassen, soweit es aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlich ist.
3.
- 3.1
- Soweit verfügbar, sollen alle Personen, die sich in der Einrichtung befinden, einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) tragen. Ausgenommen sind insbesondere Besucherinnen und Besucher, für die bereits nach anderen Vorschriften eine Maskenpflicht gilt und Bewohnerinnen und Bewohner, denen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist.
- 3.2
- Sind MNS dafür nicht in ausreichender Zahl verfügbar, gilt im Rahmen der vorhandenen Ressourcen folgende Priorisierung:
- a)
- Alle Beschäftigten, die unmittelbaren Kontakt mit Bewohnerinnen und Bewohnern haben; danach
- b)
- Beschäftigte, die Tätigkeiten verrichten, bei denen der Mindestabstand von 1,5 m (s. u.) nicht eingehalten werden kann; danach
- c)
- alle übrigen Beschäftigten.
- 3.3
- Die genannten Einrichtungen werden ähnlich wie Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und vergleichbare Berufsgruppen bei der Verteilung von MNS durch die Kreisverwaltungsbehörden prioritär berücksichtigt.
4.
- 4.1
- Es ist jederzeit und von jeder Person in der Einrichtung grundsätzlich ein Mindestabstand zu weiteren Personen von mindestens 1,5 m einzuhalten.
- 4.2
- Ausgenommen von der Abstandsregelung sind grund- und behandlungspflegerische Maßnahmen (z. B. Anreichen von Essen) durch das Pflegepersonal. Nr. 5.2 ist zu beachten.
5.
- 5.1
- Beim Verdacht auf einen Fall von COVID-19 in einer Einrichtung ist nach der jeweils aktuellen Handlungsanweisung des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vorzugehen.
- 5.2
- Ist eine Pflegeeinrichtung von einer COVID-19-Erkrankung betroffen, ist vor Ort möglichst rasch zu entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Bewohnerinnen und Bewohner in Reha-Kliniken oder andere geeignete Einrichtungen verlegt werden können.
- 5.3
- Besteht im Fall der Nr. 5.2 der Verdacht, dass weitere Personen in der Einrichtung infiziert worden sein könnten, sollen in Organisation des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) umgehend Reihentestungen der Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Beschäftigten durchgeführt werden.
6.
- 6.1
- Die Einrichtungen haben gegenüber dem zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich, spätestens zwei Tage nach Inkrafttreten der Allgemeinverfügung, einen Pandemiebeauftragten zu benennen, wenn dies nicht bereits nach Nr. 6.1 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 3. April 2020, Az. GZ6a G8000-2020/122-183, betreffend Notfallplan Corona-Pandemie: Regelungen für Pflegeeinrichtungen erfolgt ist.
- 6.2
- Der Pandemiebeauftragte ist insbesondere für Fragen der Hygiene in der Einrichtung und in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt für die Organisation von Quarantänemaßnahmen zuständig.
- 6.3
- Zur Unterstützung und Beratung von Pflegeeinrichtungen hat das LGL eine eigene Task-Force eingerichtet, die jederzeit erreichbar ist. Sie unterstützt die Pflegeeinrichtungen und Behörden vor Ort bei der Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie im Zusammenhang mit Pflegeeinrichtungen.
7.
Ein Verstoß gegen diese Allgemeinverfügung kann nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 des Infektionsschutzgesetzes als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
8.
Diese Allgemeinverfügung tritt am 25. Mai 2020 in Kraft und mit Ablauf des 14. Juni 2020 außer Kraft. Die Allgemeinverfügung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
Begründung
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Die Zuständigkeit des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege folgt aus § 65 Satz 2 Nr. 2 ZustV.
Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Ausbreitung des Virus und der dadurch hervorgerufenen Erkrankung COVID-19 am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft.
Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt. COVID-19 ist sehr infektiös. Besonders ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen sind von schweren Krankheitsverläufen betroffen und können an der Krankheit sterben. Da derzeit weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern. Ziel ist es, durch eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens die Belastung für das Gesundheitswesen insgesamt zu reduzieren, Belastungsspitzen zu vermeiden und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Staatsregierung hat dazu bereits zahlreiche Maßnahmen eingeleitet.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Anstieges von COVID-19-Erkrankungen sowohl bei den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch bei den Beschäftigten der Einrichtungen sind die in dieser Allgemeinverfügung getroffenen Regelungen erforderlich.
Zur Begründung im Einzelnen:
Zu Nr. 2:
Aufgrund der Tatsache, dass die Kurve der vom StMGP erhobenen Zahlen SARS-CoV-2-positiver Bewohner in der stationären Pflege sich abflacht, ist eine Abkehr vom grundsätzlichen Aufnahmestopp möglich, sodass dieser aufgehoben werden kann.
Stattdessen wird die Aufnahme von Pflegebedürftigen in die Einrichtung an die Voraussetzung geknüpft, ein einrichtungsindividuelles Schutzkonzept zu erstellen. So wird einerseits ein Gleichklang mit dem weiteren Voranschreiten der Öffnungen in den anderen Bereichen hergestellt, andererseits aber auch der besonderen Vulnerabilität der betroffenen Personengruppe Rechnung getragen. Gleichzeitig wird die Eigenverantwortung der Einrichtungsträger in der Bekämpfung der Pandemie gestärkt.
Zu Nr. 3:
Die bisher vorliegenden Informationen zur Epidemiologie des SARS-CoV-2 zeigen, dass Übertragungen insbesondere bei engem (z. B. häuslichem oder medizinisch pflegerischem) ungeschütztem Kontakt zwischen Menschen vorkommen. Nach derzeitigem Kenntnisstand erfolgt die Übertragung vor allem über respiratorische Sekrete, in erster Linie Tröpfchen, etwa beim Husten und Niesen. Eine indirekte Übertragung, z. B. über Hände oder kontaminierte Oberflächen im klinischen Umfeld ist ebenfalls zu bedenken.
Ein mehrlagiger Mund-Nasen-Schutz (MNS) ist geeignet, die Freisetzung erregerhaltiger Tröpfchen durch den Träger zu behindern. Ebenso behindert er die direkte Übertragung von Tröpfchen auf den Träger.
Auch außerhalb der direkten Versorgung von COVID-19-Patienten ist das generelle Tragen von MNS durch sämtliches Personal mit direktem Kontakt zu besonders vulnerablen Personengruppen aus Gründen des Bewohnerschutzes während der Pandemie erforderlich.
Durch das korrekte Tragen von MNS innerhalb der Einrichtungen kann das Übertragungsrisiko auf Patienten und anderes medizinisches Personal bei einem Kontakt von weniger als 1,5 m reduziert werden. Atemschutzmasken mit Ausatemventil sind nicht zum Drittschutz geeignet.
Zu Nr. 4:
Alle Personen in den Einrichtungen müssen darauf achten, dass sie zum Schutz ihrer Mitmenschen die ungehinderte Freisetzung von Tröpfchen möglichst unterbinden, da das Virus vor allem durch direkten Kontakt zwischen Menschen (z. B. im Gespräch) durch kleine Tröpfchen übertragen wird. Ein Abstand von mindestens 1,5 m zu anderen vermindert damit das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 erheblich.
Zu Nr. 5:
Die Befolgung der Handlungsanweisungen ist zwingend erforderlich, um dem Ausbruchsgeschehen in den Pflegeeinrichtungen zu begegnen und die Weiterverbreitung der Viruserkrankung zu verhindern. Um das Ausbruchsgeschehen insgesamt erfassen zu können, ist eine Reihenuntersuchung in der Pflegeeinrichtung erforderlich und möglich, sobald ein erster Verdachtsfall in einer Einrichtung aufgetreten ist. Denn ab diesem Zeitpunkt kann jede Person innerhalb der Einrichtung potenziell Virusüberträger sein.
Zu Nr. 6:
Die Meldung des Pandemiebeauftragten an das zuständige Gesundheitsamt ist zwingend erforderlich, um im Fall des Ausbruchsgeschehens einen Ansprechpartner in der Pflegeeinrichtung zu haben, der die dortigen Gegebenheiten kennt und die durch das Gesundheitsamt angeordneten Maßnahmen umsetzt.
Zu Nr. 7:
Die Bußgeldbewehrung der Maßnahme folgt aus § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG.
Zu Nr. 8:
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten sowie die Befristung der Allgemeinverfügung. Die Allgemeinverfügung gilt zunächst vom 25. Mai 2020 bis einschließlich 14. Juni 2020 und ist gemäß § 28 Abs. 3, § 25 Abs. 2 IfSG in Verbindung mit § 16 Abs. 8 IfSG kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
gez.
Dr. Winfried Brechmann
Ministerialdirektor