3121.0-J
Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und Gewerbebehörden
in Strafsachen, die Gewerbetreibende betreffen
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz
vom 3. Juni 2022, Az. E2 - 1431 - II - 1443/2000
1.
1§ 35 GewO stellt ein umfassendes Instrumentarium dar, um gegen unzuverlässige Gewerbetreibende oder unzuverlässige mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Personen durch Untersagung der Gewerbeausübung vorzugehen. 2Davon abgesehen bestehen für einzelne Gewerbe Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf der gewerberechtlichen Erlaubnis, die ebenfalls auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen (z. B. § 15 GastG); diese schließen unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 8 GewO die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO aus.
3Diese Regelungen sind mit den strafrechtlichen Vorschriften über das Berufsverbot als Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 70 ff. StGB) und das vorläufige Berufsverbot (§ 132a StPO) abgestimmt. 4Die beiden strafrechtlichen Maßnahmen sind ihrerseits ein bedeutsames Mittel, mit dem der Begehung weiterer Straftaten oft schneller und wirksamer als durch gewerberechtliche Maßnahmen vorgebeugt werden kann. 5Denn anders als der Verstoß gegen das verwaltungsrechtliche Verbot ist ein Verstoß gegen das gerichtliche Verbot seinerseits immer gemäß § 145c StGB mit Strafe bedroht. 6Der Frage, ob die Verhängung einer Maßregel nach § 70 StGB oder eine vorläufige Entscheidung nach § 132a StPO bei Gericht zu beantragen ist, ist daher besondere Aufmerksamkeit zu widmen. 7Von einem Antrag auf Anordnung dieser Maßnahmen darf in der Regel nicht schon im Hinblick auf mögliche oder bereits ergangene gewerberechtliche Maßnahmen abgesehen werden. 8Nicht nur im Hinblick auf die Personal- und Haushaltslage, sondern vor allem aus Gründen einer sachgerechten Behandlung sollte möglichst vermieden werden, dass derselbe Sachverhalt zum Gegenstand zweier getrennter Verfahren gemacht wird. 9Insbesondere bei Gastwirten wird in Fällen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BtMG ein Berufsverbot im Sinne des § 70 StGB bzw. ein vorläufiges Berufsverbot im Sinne von § 132a StPO im Hinblick auf die allgemeine Notwendigkeit einer wirksamen Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmissbrauchs in Betracht zu ziehen sein. 10Zu beachten ist, dass eine Verhängung eines Berufsverbots im Wege des Strafbefehlsverfahrens unzulässig ist, § 407 Abs. 2 StPO. 11Weder § 70 StGB noch § 132a StPO sind aber in der Weise vorrangig, dass die Gewerbebehörden während Ermittlungs- und Strafverfahren von ihrer Aufgabe, über verwaltungsrechtliche Gewerbeuntersagungen zu entscheiden, entbunden wären.
2.
1Nach § 35 Abs. 3 GewO, der § 3 Abs. 4 StVG nachgebildet ist, sind strafgerichtliche Entscheidungen (Urteile, Strafbefehle, Beschlüsse, durch die die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, Entscheidungen über ein vorläufiges Berufsverbot, Bußgeldentscheidungen) gegenüber Maßnahmen der Gewerbebehörden vorgreiflich. 2Der Einstellung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens fehlt diese Vorgreiflichkeit, und zwar auch dann, wenn die Einstellung gem. §§ 153 oder 153a StPO mit Zustimmung des Gerichts erfolgt ist. 3Die Einstellung hat aber fast immer zur Folge, dass die dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten im Gewerbeuntersagungsverfahren oder im Verfahren auf Rücknahme oder Widerruf einer Erlaubnis bei einer Beurteilung durch die Verwaltungsgerichte ganz erheblich an Gewicht verlieren. 4Diese Wechselwirkung ist bei der Entscheidung über die Einstellung zu beachten.
3.
1Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist unzuverlässig im Sinne der gewerberechtlichen Vorschriften, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er das von ihm ausgeübte Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. 2Die von den Gewerbebehörden anzustellende Prognose deckt sich danach nicht mit der, die die Justizbehörden nach § 56 StGB zu treffen haben.
3Die Gewerbebehörden haben darauf hingewiesen, dass den Entscheidungen der Justizbehörden auch in den Fällen, in denen diese nicht vorgreiflich sind, im gewerberechtlichen Verfahren ein erhebliches Gewicht zukommt. 4Dies gilt insbesondere bei Gastwirten, die wegen eines Vergehens gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BtMG verurteilt werden und bei denen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt ist. 5Um die Arbeit der Gewerbebehörden nicht unnötig zu erschweren, sollte sich die von den Justizbehörden anzustellende Prognose deswegen auf das beschränken, was für die strafrechtliche Beurteilung notwendig ist; insbesondere sollte der Anschein, als ob zugleich eine Entscheidung über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit getroffen worden sei, vermieden werden. 6Die Staatsanwaltschaften werden gebeten, in geeigneten Fällen bei der Antragstellung auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen.
7Weisungen im Sinne des § 68b Abs. 1 Nr. 4 StGB haben grundsätzlich keinen Einfluss auf das Gewerbeuntersagungsverfahren und sperren weder eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung noch sind damit die zugrunde liegenden Verurteilungen im Gewerbeuntersagungsverfahren „verbraucht“. 8Beschlüsse in Strafvollstreckungs- oder Führungsaufsichtssachen fallen nicht unter die von § 35 Abs. 3 GewO erfassten Entscheidungen. 9Gleichwohl kann von der Begründung dieser Weisung ein gewisses Gewicht ausgehen, sodass auch hier der Anschein, dass zugleich eine Entscheidung über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit getroffen worden sei, vermieden werden soll.
4.
- 4.1
- Nach Nr. 90 RiStBV ist den Gewerbebehörden Gelegenheit zur Äußerung zu einer beabsichtigten Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu geben, wenn sie Anzeige erstattet haben oder sonst an dem Ausgang des Verfahrens interessiert sind.
- 4.2
- Unabhängig davon, ob die Gewerbebehörden zu der Einleitung des Verfahrens einen Anstoß gegeben haben, gilt Folgendes:
- 4.2.1
- Nach Nr. 39 Abs. 1 MiStra sind ihnen in Strafsachen gegen Gewerbetreibende rechtskräftige Entscheidungen mitzuteilen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass Tatsachen, die den Gegenstand des Verfahrens betreffen und auf eine Verletzung von Pflichten schließen lassen, die bei der Ausübung des Berufs oder des Gewerbes zu beachten oder in anderer Weise geeignet sind, Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung hervorzurufen, den Widerruf, die Rücknahme oder die Einschränkung einer behördlichen Erlaubnis, Genehmigung oder Zulassung zur Ausübung eines Gewerbes oder eines Berufs, zum Führen einer Berufsbezeichnung, die Untersagung der gewerblichen Tätigkeit oder der Einstellung, Beschäftigung oder Beaufsichtigung von Kindern und Jugendlichen zur Folge haben können.
- 4.2.1.1
- Mitteilungen nach Nr. 39 Abs. 1 MiStra kommen bei Straftaten in Betracht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erlaubnispflichtigen oder erlaubnisfreien Gewerbe stehen.
- 4.2.1.2
- 1Auch wenn ein solcher unmittelbarer Zusammenhang fehlt, ist Nr. 39 Abs. 1 MiStra anzuwenden, wenn die Entscheidung Rückschlüsse auf eine mögliche Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zulässt. 2Dies gilt insbesondere bei Verfahren wegen Betrugs, Hehlerei, Untreue, Geldwäsche, Steuerhinterziehung (vgl. insoweit auch Nr. 6), Missbrauchs von Schutzbefohlenen oder vorsätzlicher Körperverletzung. 3Vor allem aus der Häufung solcher Straftaten kann sich ergeben, dass der Gewerbetreibende nicht zuverlässig ist.
- 4.2.2
- 1Gemäß MiStra Nr. 39 Abs. 2 Satz 1 und 2 unterbleibt die Mitteilung in Privatklageverfahren, in Verfahren wegen fahrlässig begangener Straftaten und in sonstigen Verfahren bei Verurteilung zu einer anderen Maßnahme als einer Strafe oder einer Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls sie erfordern. 2Sie ist insbesondere erforderlich, wenn die Tat bereits ihrer Art nach geeignet ist, Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung für die gerade ausgeübte berufliche oder gewerbliche Tätigkeit hervorzurufen. 3Dies gilt beispielsweise im Zusammenhang mit fahrlässig begangenen Straßenverkehrsdelikten eines Taxifahrers. 4MiStra Nr. 39 Abs. 2 Satz 1 und 2 gilt nicht bei Straftaten, durch die der Tod eines Menschen verursacht worden ist, und bei gefährlicher Körperverletzung (vgl. Nr. 39 Abs. 2 Satz 3 MiStra).
- 4.2.3
- Eine Mitteilungspflicht besteht ferner, wenn in der Entscheidung entweder die Ausübung des Gewerbes untersagt oder eine Untersagung der Ausübung des Gewerbes ausdrücklich abgelehnt worden ist (vgl. Nr. 39 Abs. 3 MiStra).
- 4.2.4
- 1Nach Nr. 1 Abs. 3 MiStra ist eine Mitteilung auch dann zu machen, wenn sie zwar nicht – wie in Nr. 39 MiStra – ausdrücklich vorgeschrieben ist, aber rechtlich zulässig und wegen eines besonderen öffentlichen Interesses unerlässlich ist. 2Rechtlich zulässig kann die Übermittlung personenbezogener Daten insbesondere unter den Voraussetzungen des § 17 Nr. 3 EGGVG sein. 3Vor allem zur Frage des besonderen öffentlichen Interesses ist Folgendes zu bemerken:
- 4.2.4.1
- 1Erscheint die umgehende Prüfung der Frage einer Gewerbeuntersagung angezeigt, so besteht ein besonderes öffentliches Interesse daran, die Gewerbebehörden bereits vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über Straftaten zu unterrichten, die Rückschlüsse darauf zulassen, dass der Gewerbetreibende unzuverlässig ist und dass die Gewerbeuntersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist (§ 35 Abs. 1 GewO). 2Entsprechendes gilt, wenn die Voraussetzungen der für einzelne Gewerbe bestehenden, auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellenden Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis erfüllt sind (z. B. § 15 GastG).
- 4.2.4.2
- 1In diesen Fällen kommt namentlich eine Mitteilung der Anklageschrift oder des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls in Betracht. 2Ist eine vorläufige Entscheidung nach § 132a StPO ergangen oder beantragt oder kommt vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung ein Berufsverbot in Betracht, so ist dies bei der Mitteilung anzugeben.
- 4.2.4.3
- 1Mitteilungen über den Fortgang des Verfahrens sind, soweit für sie die Voraussetzungen der Nr. 1 Abs. 3 MiStra gegeben sind, von Amts wegen zu machen. 2§ 20 EGGVG ist zu beachten.
- 4.2.4.4
- 1Ein besonderes öffentliches Interesse (Nr. 1 Abs. 3 MiStra) kann unter den Voraussetzungen der Nr. 4.2.4.1 auch an der Mitteilung von Einstellungsverfügungen bestehen. 2Dies gilt vor allem für Verfügungen nach § 153a StPO oder wenn sich Verfahren wegen Straftaten, die Rückschlüsse auf die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden zulassen, häufen oder wenn Verfahren wegen solcher Taten lediglich aus subjektiven Gründen eingestellt werden. 3Da die Schuldunfähigkeit die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nicht ausschließt, sind für die Gewerbebehörden namentlich auch die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG genannten Entscheidungen von Interesse.
- 4.2.4.5
- 1Auch bei Straftaten Dritter im Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb kann sich eine Mitteilungspflicht aus Nr. 1 Abs. 3 MiStra ergeben. 2Ein besonderes öffentliches Interesse kann dann angenommen werden, wenn die Straftaten Dritter Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden ermöglichen und deshalb Anlass zu Maßnahmen nach § 35 GewO oder zu einem Widerruf oder einer Rücknahme der gewerberechtlichen Erlaubnis (z. B. nach § 15 GastG) geben können. 3Das ist insbesondere der Fall, wenn der Gewerbetreibende, an dessen eigener Lauterkeit ansonsten keine Zweifel zu bestehen brauchen, Straftaten der in seinem Betrieb beschäftigten Personen oder Straftaten Dritter duldet oder keine geeigneten Vorkehrungen gegen sie trifft, weil er dazu nicht Willens oder nicht in der Lage ist. 4Hierbei kommen insbesondere Hehlerei, verbotene Glücksspiele, Rauschgiftgeschäfte oder Schlägereien in Gaststätten in Betracht.
5.
1Das berechtigte Interesse der Gewerbebehörden, in die Akten einschlägiger Ermittlungs- und Strafverfahren Einsicht zu nehmen, wird regelmäßig so gewichtig sein, dass Aktenanforderungen dieser Stellen mit Vorrang entsprochen werden muss, soweit dies zulässig ist (vgl. insbesondere § 474 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 479 StPO); Nrn. 183 bis 188 RiStBV sind zu beachten. 2Würde die alsbaldige Übersendung der Akten den Fortgang des Verfahrens verzögern, so sind den Gewerbebehörden nach Möglichkeit Zweitfertigungen der Akten oder einzelner Aktenteile zur Verfügung zu stellen, in geeigneten Fällen auch eingescannte Kopien der Akten bzw. Aktenteile. 3Es kann sich empfehlen, in geeigneten Fällen schon bei der Anlage der Akten Abdrucke von wichtigen Vorgängen für den Gebrauch durch die Gewerbebehörden herstellen zu lassen.
6.
1Sowohl bei den Mitteilungen von Amts wegen als auch bei der Akteneinsicht ist § 30 AO zu beachten (Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 MiStra, § 479 Abs. 1 StPO).
2Allerdings gestattet § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eine Offenbarung steuerlicher Verhältnisse, aus denen sich die Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden im Sinne des Gewerberechts ergeben kann, wegen zwingenden öffentlichen Interesses (Bundesfinanzhof, BStBl II 1987, 545 und BStBl II 2003, 828). 3Es ist in eigener Verantwortung zu prüfen, ob ein zwingendes öffentliches Interesse die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigt. 4Dabei ist nicht entscheidend, ob die Voraussetzungen des Gewerberechts tatsächlich vorliegen. 5Die Mitteilung beschränkt sich auf diejenigen Steuern, die mit der Ausübung des Gewerbes, das untersagt werden soll, im Zusammenhang stehen (insbesondere Lohnsteuer, Umsatzsteuer). 6Tatsachen, die eindeutig nicht geeignet sind, eine Versagung, Rücknahme oder den Widerruf einer gewerberechtlichen Erlaubnis zu rechtfertigen, dürfen nicht mitgeteilt werden (ausführlich BMF-Schreiben vom 19. Dezember 2013, Az. IV A 3-S 0130/10/10019, BStBl I 2014, 19).
7.
1Auch im Übrigen sollte der Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und Gewerbebehörden vor allem auf örtlicher Ebene besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. 2Soweit noch nicht geschehen, sollte daran gedacht werden, unmittelbaren Kontakt zwischen den Leitern der Wirtschaftsabteilungen bei den Staatsanwaltschaften und den Leitern der Gewerbeämter ihres Geschäftsbereichs herzustellen und Ansprechpartner bei den Behörden zu benennen.
8.
1Die Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Juli 2022 in Kraft. 2Mit Ablauf des 30. Juni 2022 tritt die Verwaltungsvorschrift vom 21. Januar 2000, Az. 1431 - II - 167/00, außer Kraft.
Prof. Dr. Frank Arloth
Ministerialdirektor