Bekanntmachung der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 3. Dezember 2019 Vf. 6-VIII-17; Vf. 7-VIII-17
Gemäß Art. 25 Abs. 7 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG) vom 10. Mai 1990 (GVBl. S. 122, 231, BayRS 1103-1-I), das zuletzt durch Art. 73a Abs. 1 des Gesetzes vom 22. März 2018 (GVBl. S. 118) geändert worden ist, wird nachstehend die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 3. Dezember 2019 bekannt gemacht.
Die Entscheidung betrifft die Frage, ob
Vorschriften des Bayerischen Integrationsgesetzes (BayIntG) vom 13. Dezember 2016 (GVBl. S. 335, BayRS 26-6-A)
gegen die Bayerische Verfassung verstoßen.
Entscheidungsformel:
1.Art. 11 des Bayerischen Integrationsgesetzes (BayIntG) vom 13. Dezember 2016 (GVBl. S. 335, BayRS 26-6-A) verstößt gegen Art. 111a BV (Freiheit des Rundfunks) sowie gegen Art. 110 BV (Recht der freien Meinungsäußerung) und ist nichtig. Davon ausgenommen ist die in Art. 11 Satz 2 BayIntG normierte Verpflichtung, in den Angeboten des Rundfunks einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache zu leisten.
2.Art. 13 BayIntG verstößt gegen Art. 110 BV (Recht der freien Meinungsäußerung) und ist nichtig.
3.Art. 14 Abs. 2 BayIntG verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV (Rechtsstaatsprinzip) und ist nichtig.
4.Die Nichtigkeit der Art. 13 und 14 Abs. 2 BayIntG erfasst auch Art. 12 Abs. 3 BayIntG.
5.Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen.
Leitsätze:
1.Ein Änderungsgesetz wird mit dem Wirksamwerden der darin enthaltenen Änderungsbefehle gegenstandslos, sodass die dadurch vollzogenen Rechtsänderungen von einer späteren Aufhebung des Änderungsgesetzes unberührt bleiben.
2.Die Integration von Ausländern ist eine staatliche Querschnittsaufgabe, die von Bund und Ländern nach Maßgabe der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung gemeinsam zu erfüllen ist.
a)Die integrationsbezogenen Regelungen im Aufenthaltsgesetz des Bundes stehen dem Erlass des auf eine „Integrationspflicht“ von Ausländern verweisenden Bayerischen Integrationsgesetzes nicht entgegen.
b)Das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verpflichtet die Länder nicht, bei ihrer Gesetzgebungstätigkeit nur solche konzeptionellen Ansätze zu verfolgen, die denen des Bundesgesetzgebers entsprechen.
c)Da das Strafgesetzbuch den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung abschließend regelt, darf der Landesgesetzgeber in diesem Bereich keine ergänzenden Bußgeldvorschriften erlassen, wie sie in Art. 14 Abs. 2 BayIntG enthalten sind.
3.Die in der Präambel zum Bayerischen Integrationsgesetz enthaltene Definition des Begriffs „Leitkultur“ ist mangels eigenständigen Regelungsgehalts nicht für sich genommen an den Vorgaben der Bayerischen Verfassung zu messen.
4.Die staatliche Förderung von an der „Leitkultur“ ausgerichteten Bildungsangeboten (Art. 3 Abs. 4 Satz 2 BayIntG) verstößt weder gegen das Bestimmtheitsgebot noch gegen die Gemeinwohl- und Neutralitätsverpflichtung des Staates.
5.Es ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, die in Verwaltungsverfahren anfallenden Dolmetscher- und Übersetzerkosten Personen aufzuerlegen, die sich bereits mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten haben, und in Fällen fehlerhafter Übersetzung die Staatshaftung auszuschließen (Art. 4 Abs. 4 BayIntG).
6.Die gesetzliche Festlegung von Bildungsinhalten für Kindertageseinrichtungen (Art. 6 BayIntG) greift in das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV ein, lässt sich aber durch den auch den vorschulischen Bereich erfassenden staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 130 Abs. 1 BV rechtfertigen.
7.Die den öffentlichen Rundfunkanstalten und den privaten Rundfunkanbietern auferlegte Verpflichtung, eine bestimmte „Leitkultur“ zu vermitteln (Art. 11 Satz 2 BayIntG), verstößt gegen die in Art. 111a Abs. 1 Satz 1 BV geschützte Programmfreiheit.
8.Die auf einen Gesinnungswandel abzielende Pflicht zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 13 BayIntG) greift in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheit der Meinungsbildung und Meinungsäußerung nach Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV ein.
München, den 10. Dezember 2019
Bayerischer Verfassungsgerichtshof
Peter Küspert, Präsident